Wie viele Elektroautos verträgt das Stromnetz?

Wie viele Elektroautos verträgt das Stromnetz?

Bei der Vorstellung, dass bald alle mit einem Elektroauto fahren, bekommen viele Menschen eine irrationale Angst vor einem Blackout. Dieser Blackout, der flächendeckende Ausfall der Stromversorgung, soll durch das zeitgleiche Laden der Fahrzeuge hervorgerufen werden, wenn die Menschen nach dem Feierabend Zuhause ankommen und das E-Auto zum Laden mit dem Stromnetz verbinden. Diese kumulierte Last würde, so in der Vorstellung der Kritiker, die gesamte Energieerzeugung überlasten und zu einem katastrophalen Ausfall führen. Ein anderes Szenario der Kritiker: Die dafür nötige Energie wäre gar nicht vorhanden.

Soweit die Theorien, die unsere Energieversorgungsinfrastruktur übertrieben vereinfachen und den Energiebedarf aller potentiellen Elektroautos einen zu hohen Anteil am ganzen Strombedarf zumessen. Aber wovon reden wir genau, wenn diese Schwarzmalerei stattfindet? Betrachten wir einmal das gesamte Thema: vom Laden der E-Autos in Zukunft bis zum Desertec-Projekt, einer fast 20 Jahre alten Idee.

Gesamtbedarf vs. Spitzenlast

Der Strombedarf aller potenziellen Elektrofahrzeuge - wenn alle 45 Millionen PKW elektrisch angetrieben werden - würde mit etwa 97 TWh nur rund 1/5 der Menge des in Deutschland erzeugen Stroms benötigen.[1] Dies ist der Energiebedarf, der jährlich zusätzlich aufzuwenden wäre.

Bei der Abschätzung der Auswirkungen, die die E-Fahrzeuge auf das Elektrizitätsnetz haben, muss der Spitzenbedarf eingeplant werden. Der Spitzenbedarf tritt auf, wenn viele Elektroautos gleichzeitig geladen werden. Um diesen zu berechnen, wird der sogenannte Gleichzeitigkeitsfaktor herangezogen. Einen direkten Einfluss auf diesen Faktor hat die Ladeleistung der E-Autos. Bei einer Ladeleistung von 2,7 kW wird beispielsweise der Gleichzeitigkeitsfaktor von den Energieversorgern auf 0,4 geschätzt. Damit ergibt sich bei 10.000 Fahrzeugen eine maximal zu erwartende Ladespitze von 11 MW.[2]

Warum eine Betrachtung von 10.000 Fahrzeugen? Das Energieversorgungsnetz ist in verschiedene Ebenen unterteilt:

  • das Übertragungsnetz verteilt den Strom
  • das Mittelspannungsnetz verteilt die Energie regional und schließ große Industriegebiete an
  • das Niederspannungsnetz stellt die Energie in den Stadt- und Ortsnetzen bereit.


Das Versorgungsnetz ist in jedem Abschnitt für einen gewissen Bedarf dimensioniert. Die privaten PKW werden von den Menschen gefahren, die in diesen Versorgungsbereichen Leben (und arbeiten), wobei die genannten 10.000 Fahrzeuge eine gute Zahl für die mittelfristig zu erwartende Menge an E-Autos darstellt; und die damit zu erwartende Zusatzbelastung in den Netzabschnitten, wenn diese Fahrzeuge am Abend zum Laden an das Stromnetz angeschlossen werden.

Bei einer Ladeleistung von 2,7 kW kann in rund 8 Stunden eine Energiemenge für rund 100 Kilometer nachgeladen werden. Diese Zeitdauer entspricht der nächtlichen Ruhezeit, in der das E-Auto auf seinem Stellplatz steht. Mit 100 Kilometern Reichweite wird auch der Bedarf von Berufspendlern abgedeckt, die eine weitere Strecke zu ihrem Arbeitsplatz zurücklegen müssen.

Welche weiteren Möglichkeiten zum Laden am eigenen Stellplatz mit dem go-eCharger existieren, welche Ladeströme möglich sind und wie Sie die Installation zukunftssicher gestalten, beschreibt dieser Artikel >>LINK<<.

Was sagt ein Energieversorger und Netzbetreiber dazu?

Der Stromkonzern E.on hat untersucht, wie viele Elektroautos heute schon mit Strom geladen werden könnten. Der Konzern hat rund 12 Millionen Kunden in Deutschland und bezieht 40 Prozent seiner Energie aus erneuerbaren Energiequellen. Die Untersuchung hat gezeigt, dass das heutige Stromnetz des Energieversorgers schon ausreichen würde, wenn 30 Prozent der Autos elektrisch fahren würden. Bei den besagten 12 Millionen Kunden wären dies etwa 6 bis 8 Millionen Fahrzeuge. (Insgesamt hat die deutsche Energiewirtschaft das Stromnetz schon soweit ausgebaut, dass schon heute bis zu 13 Millionen Elektrofahrzeuge geladen werden können.)

Um all diesen Kunden das allabendliche Laden zu ermöglichen, müsste das Netz für rund 2,5 Milliarden Euro ausgebaut werden. Jedes Jahr wird schon, unabhängig davon, eine Milliarde Euro in das Netz für die Instandhaltung und den normalen Ausbau investiert. Da für das Erreichen dieser Anzahl von E-Autos von einem Zeitraum von 5 bis 10 Jahren geredet wird, lägen die dafür nötigen Zusatzkosten bei 10 bis 20 Prozent pro Jahr.

Dies sind Zusatzkosten, die in der Regel in einem direkten Zusammenhang mit Mehreinnahmen stehen. Genauso wie der Ausbau auch einen Mehrbedarf an Arbeitsplätzen generiert.

Aber wo soll die zusätzlich benötigte Energie herkommen?

In den letzten 5 Jahren wurde durch erneuerbare Energien rund 90 TWh zugebaut. Neue Windenergieanlagen sind mittlerweile drei bis fünfmal so effizient wie Anlagen der ersten Generation.

Von sechs möglichen Quellen an erneuerbarer Energie sind vier speicherfähig, bzw. bei Bedarf jederzeit abrufbar:

  • Bioenergie
  • Wasserkraft
  • Wellen-/Gezeitenenergie der Ozeane
  • Erdwärme

Nicht speicherfähig und nicht grundlastfähig sind hingegen:

  • Sonnenenergie
  • Windenergie


Die dort erzeugte Energie muss direkt verwendet werden, oder für eine spätere Verwendung zwischengespeichert werden. Zeitweise fallen diese beiden Energiequellen auch aus, wenn keine Sonne scheint oder kein Wind weht. Aus diesem Grund sind sie nicht für die Grundlast einplanbar.

Um diese nicht speicherfähigen Energiequellen zwischenzuspeichern eignen sich elektrothermische Speicher mit hoher Wahrscheinlichkeit am besten. Sie sind sauber, einfach zu bauen und alte Kohlekraftwerke könnten umgebaut und weitergenutzt werden. Die vor Ort vorhandene Infrastruktur kann weitergenutzt werden, der Anschluss an das Stromnetz ist schon vorhanden, der Standort ist vollumfänglich erschlossen.

Was sind elektrothermische Energiespeicher?

Im Rahmen der erneuerbaren Energieerzeugung durch Wind und Sonne werden neue Speicherlösungen benötigt, die so bislang noch nicht vorhanden sind. Diese Technologie ermöglicht die Speicherung von Energie in Vulkangestein. Im Hamburg-Altenwerder wird ein elektrothermischer Energiespeicher verwendet, in dem 1000 Tonnen Vulkangestein auf 750 Grad Celsius aufgeheizt werden. Die gespeicherte Energie wird, bei Bedarf, mit einer Dampfturbine wieder in Strom zurückgewandelt. In der Anlage können 130 Megawatt für eine Woche thermisch zwischengespeichert werden. Damit lassen sich 12.000 Haushalte einen Tag lang mit Strom versorgen. Die Kosten für solch einen Energiespeicher sind zehnmal geringer als die eines Batteriespeichers. Die Anlage lässt sich innerhalb weniger Minuten hochfahren und kann so auch bei Engpässen im Stromnetz schnell einspringen.

Langfristig könnten so ausgediente Kohlekraftwerke zu kostengünstigen und leistungsfähigen Pufferspeichern für erneuerbare Energien umgerüstet werden.

Speicher dieser Art, ob mit Vulkangestein, oder ähnliche Systeme, die eine Metalllegierung erhitzen, liegen in den Schubladen der Ingenieure bereit. Bei einem Wirkungsgrad von bis zu 60 Prozent sind elektrothermischen Speicher sehr gut für den zukünftigen Ausbau der Energieerzeugung geeignet.

Was ist mit der jetzt schon vorhandenen überschüssigen Energie?

Der Energieüberschuss, der heute bei der Stromerzeugung entsteht, beträgt im Jahr etwa die Energiemenge, die eine halbe Millionen Elektroautos in diesem Zeitraum benötigen würden. Momentan wird diese Energie über das Verbundnetz ins Ausland verkauft (oder verschenkt) und wird nicht für den Eigenbedarf zu einem späteren Zeitpunkt gespeichert. Dies bedeutet, bei entsprechenden Speichermöglichkeiten stünde einem vermehrten Umstieg auf Elektroautos, und einem gleichzeitigen Ausbau erneuerbarer Energiequellen, nichts im Wege - ohne direkt nötige Zusatzkapazitäten bei der Energieerzeugung. Entsprechende Speichermöglichkeiten, wie die elektrothermischen Speicher, sind technisch einsatzfähig. Weitere Konzepte werden auch erprobt, wie beispielsweise die Verwendung von Batteriespeichern, für die dezentrale Energiespeicherung und Pufferung im Netz. Man müsste nun nur mal beginnen!

Welche Erfahrung haben andere Länder gemacht?

Erfahrungen aus Norwegen zeigen heute schon, wie sich die Netzbelastung entwickeln würde. Das Parkhaus am Flughafen Oslo ist z.B. mit 727 Wallboxen ausgestattet worden. An jeder Wallbox können die Fahrzeuge der beiden angrenzenden Parkplätze angeschlossen werden. So können rund 1400 E-Autos geparkt und geladen werden. Es hat mit diesem Ladepark, wie auch mit all den anderen Ladestandorten nie Probleme mit der Energieversorgung in Norwegen gegeben.

Das alle privaten E-Fahrzeuge zum gleichen Zeitpunkt laden, stellte sich im Alltag nicht ein. Die Lebensumstände, die normalen Unbeständigkeiten und Variationen im Tagesablauf der Menschen, sorgen für eine automatische Entzerrung der Ladezeiten. Erfahrungen in anderen europäischen Ländern, die in der Elektromobilität weiter sind, haben diese Erfahrung aus Norwegen bestätigt. Das wir also allabendlich im Dunklen sitzen, wenn die Elektroautos laden, ist Schwarzmalerei.

Geht uns der Strom ohne Kohle und Atom aus?

Deutschland hatte 2019 einen Stromverbrauch von rund 512 Mrd. kWh, also 512 TWh. Davon werden durchschnittlich 40 Prozent durch erneuerbare Energien gedeckt. Für 60 Prozent, etwa 310 Mrd. kW/h, brauchen wir eine andere Quelle, wenn der Strom komplett ökologisch erzeugt werden soll. Um dies umzusetzen, könnte man 2000 km2 der insgesamt rund 357000 km2 deutscher Landfläche für Fotovoltaik nutzen. Das ist ungefähr die Menge aller nicht anderweitig genutzten Dachflächen in Deutschland, von denen 90 Prozent noch keine Solarenergie nutzen. Allerdings ist Fotovoltaik nicht grundlastfähig. Nachts scheint keine Sonne, der Strom wäre nicht vorhanden. Um die Grundlast zu decken, müssten wir in diesem Zeitraum andere Energiequellen nutzen.
Wir können weiterhin feste Biomasse, also Holz, zur Energieerzeugung nutzen. Aus dem was Jahr für Jahr nachwächst, dies sind etwa 12 Festmeter pro ha. Dies entspricht der Energie, die durch Braun- und Steinkohle-Kraftwerke erzeugt wird.
Als Ersatz für Atomkraftwerke könnten tiefe Geothermieanlagen genutzt werden. Auf diesem Weg wäre beispielsweise auch die Grundlast gesichert.
Als Ersatz für die momentan bei Spitzenlast verwendeten Erdgas-Kraftwerke könnten Biogasanlagen genutzt werden, bei denen nur die landwirtschaftlichen Abfälle verwendet werden.

Im Großen und Ganzen könnte der Bedarf gedeckt werden. Nötig wäre allerdings ein Programm für den Umbau des Energienetzes und den Energieerzeugern. Ein Unterfangen, das Jahre dauern würde.

Aber wir brauchen mehr - Stromverbrauch vs. benötigter Primärenergie

Dies alles betrifft aber nur den Strom. Wir benötigen noch viel mehr Energie, die momentan durch andere Energieträger bereitgestellt wird, wie Öl und Kraftstoffe. Die insgesamt erforderliche Primärenergie, die Deutschland benötigt, liegt sechsmal höher, als der Energiebedarf, der durch Strom gedeckt wird. Diese Primärenergie beinhaltet beispielsweise auch Heizen, Kühlen und Bewegen.
Würde der gesamte Energiebedarf mittels elektrischer Energie bereitgestellt werden, wären rund 3000 Terrawattstunden Energie nötig. Wenn keinerlei Öl, Gas, Kohle, Holz, oder andere fossilen Energiequellen mehr zur Verfügung stehen, oder verwendet werden würden. (Stellen wie uns das einfach mal vor. Selbstverständlich wird dies niemals möglich sein, ein gewisser kleiner Anteil an Bioenergie oder fossilen Energieträgern wird immer nötig sein.)

Um die gesamte Primärenergie ohne fossile Energieträger zu decken, bräuchten wir 33 Prozent der Ackerflächen für Energiepflanzen, Fotovoltaik auf der Fläche von Saarland und Berlin, On-Shore-Windanlagen mit einer Fläche von Baden-Württemberg, Off-Shore-Windanlagen mit einer Fläche von Schleswig-Holstein, und einige Gezeitenkraftwerke.

Würde nun Europa insgesamt auf ökologischen Weg seinen Energiebedarf auf diesem Weg zu decken versuchen, würde ein Großteil der Menschen dort damit beschäftigt sein, die Energieerzeugung zu bewirtschaften und einsatzfähig zu halten. Funktionieren würde das nicht, eine andere Lösung muss her. Blicken wir also in die Vergangenheit, vor 20 Jahren waren wir mit unseren Überlegungen schonmal an diesem Punkt.

Wo soll in Zukunft all die nötige Energie herkommen?

Es gibt einen Ort, der genug Platz und Sonne bietet, um ganz Europa mit Energie zu versorgen: Wüstengebiete mit hoher Sonneneinstrahlung. Würde ein ähnliches Projekt wieder neu angegangen werden, wie es damals mit Desertec gedacht war, könnte man in der Wüste mittels Solarthermie und Fotovoltaik Strom erzeugen. Diese elektrische Energie könnte mittels Hochspannung-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) aus der Sahara bis nach Europa übertragen werden. Um ganz Europa und Afrika mit dieser Technik mit Energie zu versorgen, würde man eine Fläche von 500x500 km benötigen. In der dafür geeigneten Zone in Nordafrika wäre dies möglich.

[ FOTO: https://de.wikipedia.org/wiki/Desertec#/media/File:Fullneed.jpg ]

Desertec scheiterte früh, aber nicht an der Technik! Die Einzelinteressen der beteiligten Parteien, in dem dafür gegründeten Industriekonsortium, lies die Initiative schon in der Anfangsphase scheitern. Die Idee ist aber nie gestorben, denn mittlerweile liefern sich mehrere arabische Staaten ein Rennen beim Ausbau erneuerbarer Energien. Marokko, in unmittelbarer Nähe zu Europa gelegen, geht im Moment diesen Weg allein, ohne europäische Beteiligung, und investiert in die Zukunft. Die technische Umsetzung ist heute einfacher als vor 20 Jahren und für Afrika und Europa als gemeinsames Projekt möglich und, mit Blick auf die Zukunft, auch nötig. Gemeinsam wäre es machbar, den Wandel zu bewältigen und eine nachhaltige Energieversorgung auf die Beine zu stellen.

[ FOTO: https://de.wikipedia.org/wiki/Desertec#/media/File:DESERTEC-Map_large.jpg ]

Was dies allerdings für die Geopolitik und das momentane Machtgefüge zwischen Afrika und Europa, bzw. der westlichen Welt bedeutet, ist eine andere spannende Frage.

 

tl;dr

Kurz- und Mittelfristig ist ein kompletter Umstieg auf Elektroautos möglich, die dafür nötige Energie kann erzeugt und bereitgestellt werden, bzw. ist vorhanden. Auch mit einem gleichzeitigen Wandel zur erneuerbaren Energie. Niemand muss Angst vor einem Blackout haben.

 

 

Berechnungen:

1) Gesamtstromverbrauch bei 45 Mio. PKW:

Würden alle 45 Millionen PKW in Deutschland mit Strom angetrieben werden, so würden diese - bei einem Verbrauch von 18kW/100km und einer Jahresfahrleistung von 12.000 km - etwa 97 TWh im Jahr benötigen.

-> 0,18 kWh * 12000km * 45000000 Fhzg = 97,2 TWh/Jahr

Der Nettostromverbrauch in Deutschland lag 2019 bei 512 TWh.

-> 512 TWh / 97,2 TWh = 5,27

2) Ladespitze bei einem Gleichzeitigkeitsfaktor von 0,4:
-> 10.000 * 2,7 kW * 0,4 = 10,8 MW

 

Quellen:

https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Verkehr/emob_strom_ressourcen_bf.pdf

https://edison.media/erklaeren/so-viel-strom-braeuchte-ein-vollstaendig-elektrischer-strassenverkehr/23204256.html

Tags: Stromnetz

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